ROTER RAHMEN
Public Sculpture, 105x95cm, Red Sandstone (Palatinate)
A Place in the Woods, 09.10.2022
Waldstadt, Karlsruhe, 49°02'15.0"N 8°25'27.2"E
Hours: Monday - Sunday 24h
Notes on a red frame by Olga Hohmann
In einer ZDF Krimiserie erschien 1982 am unteren Bildrand der Text: „Unbekanntes Flugobjekt bei Karlsruhe gesichtet. Sonderbericht im Anschluss an diese Sendung“
Die Fernsehserie war eine Parodie, doch viele der Zuschauer*innen nahmen diese UfO-Meldung ernst. Auch weil sie nur sehr kurz eingeblendet war, wie eine Nachricht aus einer anderen Sphäre, fast so, als hätte die Alien-Zentrale selbst die Nachricht geschaltet. Ebenso wie bei der Iss Popcorn Trink Cola Theorie drang die Warnung direkt ins Unbewusste der Zuschauer*innen und affizierte sie unmittelbar.
Bei der Karlsruher Polizei standen jedenfalls die Schnurtelefone nicht mehr still. Was für eine vermessene Idee, dass gerade die Polizei gegen einen vermeintlichen Alien-Angriff vorgehen könnte! Oder vielleicht waren es ja den Erdbewohner*innen friedlich gesonnene Außerirdische?
You are so alien to me – immer ein Kompliment.
(Gegensätze ziehen sich (wie magnetisch) an – Ähnlichkeiten auch. Im ICE von Berlin nach Karlsruhe jedenfalls erschreckend viele Germies im Partnerlook, die gemeinsam nach Gründen suchen, Aliens (also mich) zurechtzuweisen: „Nicht so laut tippen!“. Da wechselt man doch lieber den Platz und setzt sich neben ein anderes Alien – in diesem Fall ein Typ, der sehr laut Musik hört, die Ellbogen breit ausstreckt und ab und zu dem Laptop-Bildschirm seinen Mittelfinger zeigt. Er versucht, online einen neuen Fußboden zu bestellen und scheitert. Entweder an der komplexen, nur auf den ersten Blick benutzerfreundlich scheinenden, Website der „Holzconnection“ oder am Wifi on ICE – dieses Mal, zum Glück, ohne Feuerjonglage)
Die Fake-News von 1982 passten perfekt in die Zeit: Nur wenige Tage später kam der Science Fiction Film „E.T.“ in die deutschen Kinos. Ich, wiederum zehn Jahre später geboren, erinnere mich gut an das traurige Gesicht des Wesens und den ausgestreckten Zeigefinger: „E.T. nach Hause telefonieren“ – call me maybe.
Nicht nur die in Panik versetzten Bürger aber beschwerten sich über die Fehlinformation – auch diejenigen, die wirklich an extraterrestrische Zivilisationen glaubten, fühlten sich auf den Schlips getreten. Wie könne man solch ernstzunehmende Themen und Bedrohungen durch den Kakao ziehen?
Sogar mein Physiklehrer gestand uns irgendwann stolz, dass er sicher sei, es gäbe Leben irgendwo da draußen. Es war das einzige, was ich inhaltlich aus seinem Unterricht mitnahm, aber er selbst war mir irgendwie sympathisch: Sein weißer Vollbart war um den Mund herum (vom chainsmoking) ganz gelb und wenn man ihn verärgerte, warf er sein beachtlich bestücktes Schlüsselbund. Wenn man ihn kurz darauf nochmal verärgerte, griff er, das Schlüsselbund war ja nun weit weg, zu Tafelkreide.
Kreide – Kreidekreise. Brecht schreibt: In diesen Kreidekreis stellte er sich, und beobachtete in Ruhe das Geschehen. Dies dient dazu, in einem "abgegrenzten Raum" zu stehen und zu sehen, welche Verbesserungspotentiale in den beobachteten Abläufen stecken. Die Kreidekreis-Methode ein wichtiges Element im Veränderungsprozess.
Schon Ende der 30er Jahre hat Orson Welles‘ Hörspiel „Krieg der Welten“ für Aufsehen gesorgt: Die fiktive Landung von Mars-Menschen nahe New York City war für eine echte Radionachricht gehalten worden.
Drei Jahre nach dem UfO Alarm im ZDF entschuldigte sich das Team der Krimiserie mit einer Einblendung in der allerletzten Folge: „Dieser Film ist Karlsruhe und allen anderen von Ufos vernachlässigten Städten gewidmet“.
Seit einigen Wochen, so scheint es, ist Karlsruhe nun aber doch mit der Aufmerksamkeit von Aliens gesegnet worden – oder zumindest von irgendeiner Art otherworldly creatures.
Ein nicht zuordenbarer roter Steinrahmen ist plötzlich aufgetaucht, er mutet an wie eine archäologische Stätte. Ähnlich wie bei den meisten archäologischen Sites scheint er etwas einzurahmen, das allerdings abwesend ist. Keine Gebeine befinden sich im Inneren des strahlenden wie unauffälligen Objektes, trotzdem hat es die symbolische Qualität einer Grabstätte.
Ein magischer Ort, der seinen Nutzen verloren hat – die Magie selbst.
Spontan denke ich an Stonehenge, ein vor über 4000 Jahren in der Jungsteinzeit erbauter neolithischer Steinkreis – die Steine selbst stammen aus Wales. Ein Monument, von dem niemand genau weiß, woran es uns erinnern soll.
Back to Germany, for a second: Als Kind einmal bis Mitternacht wachgeblieben, in irgendeinem öffentlich rechtlichen Sender (wahrscheinlich ZDF) über das „Wort zum Sonntag“ gestolpert, die kurzhaarige Fernsehpastorin verliert den ikonischen Satz: „Denkmal – das soll heißen: Denk mal nach“. Dann umgeschaltet und im Kinderkanal auf Bernd, das Brot gestoßen, der selbst aussieht wie ein Stein, in Wirklichkeit aber ein in einem Brot-Kostüm (mit unfreundlichem Gesicht) steckender „Schauspieler“ ist, der die ganze Nacht vor einem weißen Hintergrund verbringt und seinen Frust in Nichts schleudert.
Bernd, das Brot war eine Art lebendiger Bildschirmschoner, gefangen im Fernseher und deshalb hoch suizidal. Manchmal schmiss sich Bernd auch mit voller Wucht gegen die Mattscheibe. Aber es half nichts: Nicht mal das Dahinscheiden war Bernd vergönnt – er war zu allem Übel auch noch ein Untoter. Kein Alien, aber ein Zombie.
Ebenfalls cringe, die deutsche Nationalhymne, die, erschreckend virtuos vorgetragen, um zwölf Uhr nachts im Deutschlandfunk zu hören ist – hat mich neulich mal kalt erwischt, als ich gerade Händchen hielt mit einem neuen Lover – unsere Hände zuckten erschreckt zurück und fanden sich erstmal eine Weile lang nicht wieder.
Back to Stonehenge, das jedenfalls ein vom Magier Merlin geschaffener magischer Ort sein soll, heutzutage ist es English Heritage. Sogar die Zauberei hat der Staat sich also einverleibt.
Es besteht aus einem ringförmigen Erdwall, in dessen Innerem sich verschiedene, um den Mittelpunkt gruppierte Formationen aus bearbeiteten Steinen befinden. Ihrer Riesenhaftigkeit wegen nennt man sie Megalithen. In der Mitte befindet sich der Altar, oder Opferstein. Es ist schwer auszumachen, welchen religiösen Hintergrund das denkwürdige Monument hat – noch schwerer ist es allerdings, sich den Ort als einen profanen, weltlichen Ort vorzustellen.
Da glaubt man lieber, der Teufel habe die gigantischen Steine, wie Meteoriten, auf die Erde geworfen und sie seien zufällig genau dort, im Südenglischen Boden stecken geblieben.
Archäologie ist immer konstruiert, Science bleibt Fiction. Die Schichtung, die Bedeutung wird erst im Nachhinein erzeugt. Kommen die Wissenschaftlerinnen immer aus der Zukunft – oder manchmal, wie Lichtjahre entfernte Aliens, auch aus der Vergangenheit?
Auch der Rote Rahmen will weniger von uns als wir von ihm. Keiner weiß, welchem Glaubenssystem er angehört – wichtig ist, dass wir ihm (etwas) glauben.
Wir glauben ihm, dass er genau hier hingehört – und nirgendwo andershin.
Wir glauben ihm, dass der Hardtwald heilig ist – zumindest manchmal.
Wir glauben ihm, dass er schon immer da war – selbst als er noch nicht da war.
Wir glauben ihm, dass etwas Übermenschliches ihn geschaffen hat – der Künstler nur ein Medium, durch das eine andere Kraft spricht.
Wir glauben ihm, dass er ein Modell ist, für etwas Größeres – und dennoch autonom, weder klein noch groß, seinen eigenen Dimensionen folgend.
Genau vierzig Jahre nach der Fehlmeldung also: Endlich Spuren echter Außerirdischer im Hardtwald bei Karlsruhe.
Ich glaube, Bernd das Brot ist an allem Schuld.
(Amen)
ROTER RAHMEN
Public Sculpture, 105x95cm, Red Sandstone (Palatinate)
A Place in the Woods, 09.10.2022
Waldstadt, Karlsruhe, 49°02'15.0"N 8°25'27.2"E
Hours: Monday - Sunday 24h
Notes on a red frame by Olga Hohmann
In einer ZDF Krimiserie erschien 1982 am unteren Bildrand der Text: „Unbekanntes Flugobjekt bei Karlsruhe gesichtet. Sonderbericht im Anschluss an diese Sendung“
Die Fernsehserie war eine Parodie, doch viele der Zuschauer*innen nahmen diese UfO-Meldung ernst. Auch weil sie nur sehr kurz eingeblendet war, wie eine Nachricht aus einer anderen Sphäre, fast so, als hätte die Alien-Zentrale selbst die Nachricht geschaltet. Ebenso wie bei der Iss Popcorn Trink Cola Theorie drang die Warnung direkt ins Unbewusste der Zuschauer*innen und affizierte sie unmittelbar.
Bei der Karlsruher Polizei standen jedenfalls die Schnurtelefone nicht mehr still. Was für eine vermessene Idee, dass gerade die Polizei gegen einen vermeintlichen Alien-Angriff vorgehen könnte! Oder vielleicht waren es ja den Erdbewohner*innen friedlich gesonnene Außerirdische?
You are so alien to me – immer ein Kompliment.
(Gegensätze ziehen sich (wie magnetisch) an – Ähnlichkeiten auch. Im ICE von Berlin nach Karlsruhe jedenfalls erschreckend viele Germies im Partnerlook, die gemeinsam nach Gründen suchen, Aliens (also mich) zurechtzuweisen: „Nicht so laut tippen!“. Da wechselt man doch lieber den Platz und setzt sich neben ein anderes Alien – in diesem Fall ein Typ, der sehr laut Musik hört, die Ellbogen breit ausstreckt und ab und zu dem Laptop-Bildschirm seinen Mittelfinger zeigt. Er versucht, online einen neuen Fußboden zu bestellen und scheitert. Entweder an der komplexen, nur auf den ersten Blick benutzerfreundlich scheinenden, Website der „Holzconnection“ oder am Wifi on ICE – dieses Mal, zum Glück, ohne Feuerjonglage)
Die Fake-News von 1982 passten perfekt in die Zeit: Nur wenige Tage später kam der Science Fiction Film „E.T.“ in die deutschen Kinos. Ich, wiederum zehn Jahre später geboren, erinnere mich gut an das traurige Gesicht des Wesens und den ausgestreckten Zeigefinger: „E.T. nach Hause telefonieren“ – call me maybe.
Nicht nur die in Panik versetzten Bürger aber beschwerten sich über die Fehlinformation – auch diejenigen, die wirklich an extraterrestrische Zivilisationen glaubten, fühlten sich auf den Schlips getreten. Wie könne man solch ernstzunehmende Themen und Bedrohungen durch den Kakao ziehen?
Sogar mein Physiklehrer gestand uns irgendwann stolz, dass er sicher sei, es gäbe Leben irgendwo da draußen. Es war das einzige, was ich inhaltlich aus seinem Unterricht mitnahm, aber er selbst war mir irgendwie sympathisch: Sein weißer Vollbart war um den Mund herum (vom chainsmoking) ganz gelb und wenn man ihn verärgerte, warf er sein beachtlich bestücktes Schlüsselbund. Wenn man ihn kurz darauf nochmal verärgerte, griff er, das Schlüsselbund war ja nun weit weg, zu Tafelkreide.
Kreide – Kreidekreise. Brecht schreibt: In diesen Kreidekreis stellte er sich, und beobachtete in Ruhe das Geschehen. Dies dient dazu, in einem "abgegrenzten Raum" zu stehen und zu sehen, welche Verbesserungspotentiale in den beobachteten Abläufen stecken. Die Kreidekreis-Methode ein wichtiges Element im Veränderungsprozess.
Schon Ende der 30er Jahre hat Orson Welles‘ Hörspiel „Krieg der Welten“ für Aufsehen gesorgt: Die fiktive Landung von Mars-Menschen nahe New York City war für eine echte Radionachricht gehalten worden.
Drei Jahre nach dem UfO Alarm im ZDF entschuldigte sich das Team der Krimiserie mit einer Einblendung in der allerletzten Folge: „Dieser Film ist Karlsruhe und allen anderen von Ufos vernachlässigten Städten gewidmet“.
Seit einigen Wochen, so scheint es, ist Karlsruhe nun aber doch mit der Aufmerksamkeit von Aliens gesegnet worden – oder zumindest von irgendeiner Art otherworldly creatures.
Ein nicht zuordenbarer roter Steinrahmen ist plötzlich aufgetaucht, er mutet an wie eine archäologische Stätte. Ähnlich wie bei den meisten archäologischen Sites scheint er etwas einzurahmen, das allerdings abwesend ist. Keine Gebeine befinden sich im Inneren des strahlenden wie unauffälligen Objektes, trotzdem hat es die symbolische Qualität einer Grabstätte.
Ein magischer Ort, der seinen Nutzen verloren hat – die Magie selbst.
Spontan denke ich an Stonehenge, ein vor über 4000 Jahren in der Jungsteinzeit erbauter neolithischer Steinkreis – die Steine selbst stammen aus Wales. Ein Monument, von dem niemand genau weiß, woran es uns erinnern soll.
Back to Germany, for a second: Als Kind einmal bis Mitternacht wachgeblieben, in irgendeinem öffentlich rechtlichen Sender (wahrscheinlich ZDF) über das „Wort zum Sonntag“ gestolpert, die kurzhaarige Fernsehpastorin verliert den ikonischen Satz: „Denkmal – das soll heißen: Denk mal nach“. Dann umgeschaltet und im Kinderkanal auf Bernd, das Brot gestoßen, der selbst aussieht wie ein Stein, in Wirklichkeit aber ein in einem Brot-Kostüm (mit unfreundlichem Gesicht) steckender „Schauspieler“ ist, der die ganze Nacht vor einem weißen Hintergrund verbringt und seinen Frust in Nichts schleudert.
Bernd, das Brot war eine Art lebendiger Bildschirmschoner, gefangen im Fernseher und deshalb hoch suizidal. Manchmal schmiss sich Bernd auch mit voller Wucht gegen die Mattscheibe. Aber es half nichts: Nicht mal das Dahinscheiden war Bernd vergönnt – er war zu allem Übel auch noch ein Untoter. Kein Alien, aber ein Zombie.
Ebenfalls cringe, die deutsche Nationalhymne, die, erschreckend virtuos vorgetragen, um zwölf Uhr nachts im Deutschlandfunk zu hören ist – hat mich neulich mal kalt erwischt, als ich gerade Händchen hielt mit einem neuen Lover – unsere Hände zuckten erschreckt zurück und fanden sich erstmal eine Weile lang nicht wieder.
Back to Stonehenge, das jedenfalls ein vom Magier Merlin geschaffener magischer Ort sein soll, heutzutage ist es English Heritage. Sogar die Zauberei hat der Staat sich also einverleibt.
Es besteht aus einem ringförmigen Erdwall, in dessen Innerem sich verschiedene, um den Mittelpunkt gruppierte Formationen aus bearbeiteten Steinen befinden. Ihrer Riesenhaftigkeit wegen nennt man sie Megalithen. In der Mitte befindet sich der Altar, oder Opferstein. Es ist schwer auszumachen, welchen religiösen Hintergrund das denkwürdige Monument hat – noch schwerer ist es allerdings, sich den Ort als einen profanen, weltlichen Ort vorzustellen.
Da glaubt man lieber, der Teufel habe die gigantischen Steine, wie Meteoriten, auf die Erde geworfen und sie seien zufällig genau dort, im Südenglischen Boden stecken geblieben.
Archäologie ist immer konstruiert, Science bleibt Fiction. Die Schichtung, die Bedeutung wird erst im Nachhinein erzeugt. Kommen die Wissenschaftlerinnen immer aus der Zukunft – oder manchmal, wie Lichtjahre entfernte Aliens, auch aus der Vergangenheit?
Auch der Rote Rahmen will weniger von uns als wir von ihm. Keiner weiß, welchem Glaubenssystem er angehört – wichtig ist, dass wir ihm (etwas) glauben.
Wir glauben ihm, dass er genau hier hingehört – und nirgendwo andershin.
Wir glauben ihm, dass der Hardtwald heilig ist – zumindest manchmal.
Wir glauben ihm, dass er schon immer da war – selbst als er noch nicht da war.
Wir glauben ihm, dass etwas Übermenschliches ihn geschaffen hat – der Künstler nur ein Medium, durch das eine andere Kraft spricht.
Wir glauben ihm, dass er ein Modell ist, für etwas Größeres – und dennoch autonom, weder klein noch groß, seinen eigenen Dimensionen folgend.
Genau vierzig Jahre nach der Fehlmeldung also: Endlich Spuren echter Außerirdischer im Hardtwald bei Karlsruhe.
Ich glaube, Bernd das Brot ist an allem Schuld.
(Amen)